Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft (GSI)
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Die Geschwister Scholl und die Weiße Rose

Das Flugblatt, das im Frühsommer 1942 durch die Straßen Münchens ging, forderte von seinen Lesern scheinbar Unerhörtes. Eine Gruppe, die sich "Weiße Rose" nannte und bisher nicht in Erscheinung getreten war, rief die Deutschen zu nicht weniger als "passivem Widerstand" auf. So wie sich die Nation 1923 gegen das im Ruhrgebiet aufmarschierte französische und belgische Militär gestellt hatte, so sollte sie sich nun abermals gemeinsam erheben. Passiven Widerstand leisten nicht gegen Frankreich, sondern wider die eigene deutsche Regierung, die den Besatzer von einst und Erzfeind im Blitzkrieg niedergerungen hatte. Widerstehen nicht gegen den Bolschewismus und das Judentum, welche der Nationalsozialismus als Grund allen Übels ausgemacht hatte und die er zu vernichten sich anschickte, sondern wider "die Geißel der Menschheit, den Faschismus und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates". Geschlossenheit zeigen nicht für den zum Heldengefecht stilisierten Kampf an allen Fronten, sondern wider "das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine".

"Wenn das deutsche Volk schon so in seinem tiefsten Wesen korrumpiert und zerfallen ist, daß es ohn eine Hand zu regen (...) das Höchste, das ein Mensch besitzt, (...) nämlich den freien Willen, preisgibt, (...) ja dann verdienen sie den Untergang"
(aus dem ersten Flugblatt).

Auch fünf weitere Flugblätter, die bis zum Februar 1943 in Städten in ganz Deutschland zur Verteilung kamen, verhinderten nicht, dass der passive Widerstand des deutschen Volkes ausblieb. Selbst die schärfsten Appelle der "Weißen Rose" gegen Lethargie und Stumpfsinn und für Vernunft und Freiheit verhallten nahezu wirkungslos: "Gleichgesinnten waren ihre Taten ein Zeichen der Hoffnung, die angestrebte Mobilisierung der Bevölkerung gegen das Regime konnten sie jedoch nicht herbeiführen" (Michael C. Schneider/Winfried Süß). Vor allem die Briten sorgten im Juli 1943 mit dem Abwurf des sechsten Flugblattes über ganz Deutschland dafür, dass der Name der "Weißen Rose" dennoch nicht der Vergessenheit anheim fiel.

Im Kern verbargen sich hinter ihm die Medizinstudenten Christoph Probst (geb. 1919), Alexander Schmorell (1917), Willi Graf (1918) und Hans Scholl (1918), dessen Schwester und Studentin der Biologie und Philosophie Sophie Scholl (1921) sowie Kurt Huber (1893), Professor für Philosophie und Musikpsychologie. Ihr entschlossener Widerstand der Jahre 1942/43 war allerdings keineswegs vorgezeichnet. Gerade die heute stellvertretend für die "Weiße Rose" stehenden Hans und Sophie Scholl begeisterten sich 1933 für die vermeintliche nationalsozialistische Volksgemeinschaft.

"Denn mit jedem Tag, da ihr noch zögert, da ihr dieser Ausgeburt der Hölle nicht widersteht, wächst eure Schuld gleich einer parabolischen Kurve höher und immer höher"
(aus dem dritten Flugblatt).

Erst das Streben der neuen Machthaber nach der totalen Gleichschaltung der Nation unter dem Banner von rassischem Wahn und kultureller Engstirnigkeit und im Geiste von Befehl und Gehorsam ließen sie zu entschiedenen Gegnern der Nationalsozialisten werden. Der antibolschewistisch gesinnte Kurt Huber engagierte sich zwar die erste Zeit nach der Machtübernahme für die neuen Herrscher, löste sich von diesen aber zunehmend unter dem Eindruck der allein auf Stabilisierung der Herrschaft und die ideologische Durchdringung der Gesellschaft abzielenden Kulturpolitik. Bei dem wie Huber im katholischen Milieu verankerten Willi Graf gruben sich die Erfahrungen des Kulturkampfes tief ein, Alexander Schmorells Distanz zum Regime resultierte aus seiner Abneigung gegen Autoritäten und Christoph Probst galt gar lange Zeit als unpolitisch.

Sechs Biographien, die sich aus unterschiedlichen Motiven im Kampf gegen das Regime zusammenfanden. Erst ab 1941 in anfangs unpolitischen Gesprächskreisen, dann ab 1942 im aktiven Widerstand im Kreis der "Weißen Rose", wobei Hans Scholl und Alexander Schmorell die eigentlichen Initiatoren darstellten und die übrigen späteren Mitglieder erst nach und nach einweihten. 1943 weiteten sie die Aktivitäten beträchtlich aus, das fünfte Flugblatt erschien bereits in einer weitaus höheren Auflage als seine Vorgänger und Anfang Februar malten Hans Scholl und Schmorell bei Nacht wiederholt regimefeindliche Parolen an Hauswände der "Hauptstadt der Bewegung". Zum Verhängnis wurde ihnen das sechste Flugblatt, in dem sie abermals zum Kampf gegen die NSDAP und den Austritt aus den Parteigliederungen aufriefen. Nachdem die Schrift bereits in über 1000 Exemplaren an Münchener Studenten verschickt worden war, verteilten sie Hans und Sophie Scholl auch noch am Vormittag des 18. Februar im Lichthof der Universität. Ein Hausmeister zögerte nicht, sie festzuhalten und die Gestapo verständigen zu lassen. Auf ihre von einer Kundgebung der Münchener Studentenschaft mit Beifall aufgenommene Festnahme erfolgte rasch die Inhaftierung weiterer Mitglieder und Sympathisanten der "Weißen Rose". Mit ihnen kannte der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, keine Gnade. Am 22. Februar 1943 beendete das Fallbeil die Leben von Christoph Probst und Hans und Sophie Scholl. Alexander Schmorell und Kurt Huber wurden am 13. Juli hingerichtet, Willi Graf am 12. Oktober. Weitere Angeklagte erhielten Zuchthausstrafen zwischen sechs Monaten und drei Jahren, nur in zwei Fällen erfolgte Freispruch.

Das kollektive Gedächtnis der Deutschen an den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime kennt plakativ verkürzt vier Säulen: Die Männer des 20. Juli 1944, den Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, die Geschwister Scholl und seit wenigen Jahren in Ergänzung dieses etablierten "Dreigestirns der positiven Widerstandstradition" (Wilfried Breyvogel) Oskar Schindler. Wie die Männer um Stauffenberg dem Militär und Bischof Galen der Kirche ein positives Traditionselement in der Identitätskrise der Nachkriegszeit verliehen und mit Schindler auch der einfache Bürger und Kleinunternehmen Eingang in das deutsche Widerstandsgedenken gefunden hat, so wurden die Geschwister Scholl als Symbol des universitären Widerstandes angesehen. Doch ist die Verkürzung der ihnen in der nationalen Erinnerung zugedachten Rolle auf dieses Moment der Institutionen-Repräsentation eine unverhältnismäßige Reduktion.

"Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet.
(aus dem sechsten Flugblatt)

Die Geschwister Scholl standen und stehen nicht nur stellvertretend für den intellektuellen akademischen Betrieb, sondern für die Jugend schlechthin. Sie verkörperten und verkörpern die Hoffnung auf die kommenden Generationen und die Sehnsucht nach einer von der Jugend von heute getragenen Zukunft in Mitmenschlichkeit und Vernunft.

So wie zahlreiche Schulen in ganz Deutschland nach den Geschwister Scholl benannt sind, so trägt auch das Institut für politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München ihren Namen. Es verpflichtet sich damit auf das Weltbild von Toleranz und Demokratie, auf eine Lehre, die den Studenten Werte vermittelt und sie zu Kritikfähigkeit anhält. Die Nationalsozialisten zerschmetterten die "Weiße Rose" nach nicht einmal einjährigem Bestand. Sie scheiterten hingegen an dem Versuch, den Ruf der Geschwister Scholl und ihrer Mitstreiter nach Freiheit, Nächstenliebe und Ratio zu ersticken. Er bleibt Vermächtnis. Für Studenten und Professoren. Für Lernende wie Lehrende.

Auswahlliteratur

  • Breyvogel, Wilfried: Die Gruppe "Weiße Rose". Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte und kritischer Rekonstruktion, in: ders. (Hg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus, Bonn 1991, S. 9-16.
  • Dumbach, Annette/Jud Newborn: Die Geschichte der Weißen Rose. Mit einem Vorwort von Richard von Weizsäcker, Freiburg i. Br. 2002.
  • Kißener, Michael/Bernhard Schäfers (Hg.): "Weitertragen". Studien zur "Weißen Rose", Konstanz 2001.
  • Leisner, Barbara: "Ich würde es genauso wieder machen". Sophie Scholl, München 2000.
  • Lill, Rudolf (Hg.): Hochverrat? Neue Forschungen zur "Weißen Rose", Konstanz 1999.
  • Schneider, Michael C./Winfried Süß: Keine Volksgenossen. Studentischer Widerstand der Weißen Rose, München 1993.
  • Scholl, Hans/Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt a. Main 1993.
  • Scholl, Inge: Die Weiße Rose, Frankfurt a. Main 1993.
  • Schüler, Barbara: Im Geiste der Gemordeten... Die "Weiße Rose" und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit, Paderborn u.a. 2000.
  • Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchner Gedächtnisvorlesungen, München 1993.

Weitere Informationen

DenkStätte Weiße Rose
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München


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