Vom Fürstenspiegel zur Staatsräson

Die Frage, ob politische Herrschaft und politisches Handeln grundsätzlich an moralische Normen gebunden sein sollen, wurde in der politischen Philosophie der Antike und des Mittelalters im Grundtenor bejahend beantwortet. Maßgeblich bedingt durch die Entwicklung des frühmodernen Staates und eines neuen Staatsverständnisses wird seit dem Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit der Bruch mit Moral und Religion zumindest als situative Notwendigkeit und als Faktum des politischen Handelns anerkannt und in einen neuen Begriff gefasst: die Staatsräson. Zum Verständnis dieser Transition im politischen Denken soll zunächst auf den traditionellen Fürstenspiegel (Xenophon, Thomas von Aquin, Erasmus) als Textgattung eingegangen werden, in welcher der politische Philosoph den Herrscher durch pädagogische und tugendethische Unterweisung an die Achtung der Moral zu binden versucht. Der Bruch zur traditionellen Konzeption politischen Handelns soll anschließend anhand von Machiavellis Principe als ‚verwilderter‘ Fürstenspiegel und der unter machiavellianischen Einflüssen entstehenden Staatsräsonliteratur anhand von Giovanni Boteros Della ragione di stato (1589) herausgestellt werden. Der neuzeitliche Staats- und Souveränitätsbegriff, wie von Bodin und Hobbes entwickelt, sollen hierbei ebenfalls herangezogen werden. Im Ausblick wird mit Carl J. Friedrich nach der Anwendbarkeit und Aktualität des Staatsräsonterminus in der gegenwärtigen Politik gefragt.

Literatur: Botero, G.: The Reason of State, übers. v. P. J. und D. P. Waley, New Haven, 1956; Gilbert, F.: The Humanist Concept of the Prince and the „Prince“ of Machiavelli, in: Dunn, J. / Harris, I. (Hrsg.), Machiavelli, 2 Bde., Cheltenham / Lyne, 1997, Bd. 1, S. 169-203; Münkler, H.: Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M., 1987, S. 165-207; Friedrich, Carl J.: Die Staatsräson im Verfassungsstaat, Freiburg / München, 1961. Die im Kurs zusammen gelesenen Primärtexte werden in einem Reader bereitgestellt.